DISPLACED – 2024

Displaced

Die Zahl der weltweit vertriebenen Menschen hat nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) die Rekordzahl von 110 Millionen erreicht. Die Vertreibungen geschehen im Zuge von Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung sowie von Konflikten und Kriegen, die weltweit stattfinden.
Die schwerwiegenden Folgen von Vertreibung zeigt der Fotograf Steff Gruber in der Ausstellung «Displaced», die den landlosen armen Communities in Kambodscha gewidmet ist. In einem Langzeitprojekt porträtiert er diese Menschen und ihre prekären Lebensumstände, deren Ursprung nun bereits fast fünf Jahrzehnte zurückliegt.

Nach dem Sturz des Terrorregimes der Roten Khmer im Jahr 1975 kehrten viele vertriebene Menschen nach Phnom Penh zurück, sodass die kambodschanische Hauptstadt einen Zustrom von Migranten erfuhr, die Wohnraum benötigten und deshalb in informellen Siedlungen zu leben begannen oder Häuser besetzten, wenn ihre ehemaligen Häuser nicht mehr frei waren.
Vier Jahrzehnte nach der Abschaffung des Privateigentums und der damit einhergehenden Vernichtung aller Grundbücher während des Regimes der Roten Khmer erlebt Kambodscha seit einigen Jahren einen Immobilienboom. Infolgedessen wurden in den letzten Jahren die Slums der Hauptstadt zum Teil gewaltsam geräumt und die dort ansässigen mittellosen Menschen in grössere Siedlungen am Stadtrand verdrängt, wo ihr Zugang zu sanitären Einrichtungen, Elektrizität, Arbeitsplätzen, Schulen und medizinischer Versorgung fraglich ist.
25% der 2,3 Million in Phnom Penh lebenden Menschen wohnen auf besetztem Land oder sind ansonsten von Armut betroffen. Fast 300 informelle Siedlungen bestehen aus oft prekären, behelfsmässigen Unterkünften, ohne Sicherheit für die Menschen, bleiben zu dürfen.

Tuol Sleng Genocide Museum – S-21, Phnom Penh, Kambodscha

Das ehemalige Gefängnis S-21 der Roten Khmer in Phnom Penh ist heute das Tuol-Sleng-Genozid-Museum und dient der Erinnerung an die dort begangenen Verbrechen während des Genozids zwischen 1975 und 1979 in Kambodscha.
Die damalige, radikal-kommunistische Diktatur strebte eine ursprüngliche, klassenlose Agrargesellschaft an, schaffte Geld und Privateigentum ab und zwang einen Grossteil der städtischen Bevölkerung in landwirtschaftliche Arbeitslager. Jegliche Religion, Sprache und Kultur von Minderheiten wurde verboten, Kultureinrichtungen und Schulen zerstört. Opfer von Mordaktionen waren religiöse und ethnische Minderheiten, darunter Thai, Chines:innen, Vietnames:innen sowie im Besonderen die Volksgruppe der muslimischen Cham. Intellektuelle passten ebenso wenig ins Gesellschaftsbild, sodass das Tragen einer Brille oder der Besitz von Büchern ausreichte, um verhaftet und ermordet zu werden.
Innerhalb von vier Jahren wurden vom Terrorregime nahezu ein Viertel der etwa acht Millionen Menschen ermordet oder sie starben an Seuchen, Hunger und an den Lebensbedingungen in den Arbeitskollektiven.

Railway Community, Phnom Penh, Kambodscha

Über 300 Familien der «Railway Community» leben in der Kommune «Kilometer 6» in Phnom Penh, entlang der Bahngleise in den Bezirken Tuol Kork über Daun Penh bis nach Russey Keo. Die Familien bewohnen selbstgebaute Verschläge, die meist aus einem einzigen Raum bestehen.
Das Alltagsgeschehen breitet sich aufgrund des beschränkten Platzes auf dem Bahngleis aus. Mehrmals am Tag, immer wenn die Hupsignale der Züge ertönen, packen alle in Windeseile ihre Kinder, die Kochgeräte, Stühle und Sonnenschirme und räumen das Gleis frei.
Wie bereits vielen Familien vor ihnen in Phnom Penh droht nun auch der «Railway Community» die Vertreibung, da die Behörden den Bau einer Betonstrasse entlang der Bahnlinie planen. In diesem Zusammenhang ist ein Streit um die Landfrage ausgebrochen. Mittlerweile engagieren sich die Gemeinde und die Aktivist:innen seit einem Jahrzehnt für ihr Recht auf Land und angemessenen Wohnraum.
Erstes Ergebnis dieses Engagements war die Vergabe eines 4 x 15 Meter grossen Stück Landes in einem nahegelegenen Gebiet an jede Familie. Anfang August 2022 akzeptierten 320 Familien diese Entschädigung, die allerdings keine finanziellen Leistungen beinhaltet. Umgezogen war Ende 2022 noch keine der Familien, da der neue Standort noch nicht bereit ist. Es gibt dort weder sauberes Wasser noch Stromanschlüsse und auch eine ausgebaute Strasse zu den Grundstücken fehlt.

Smor San, Phnom Penh, Kambodscha

Smor San ist eine auf einem Friedhof lebende Community in Phnom Penh. Die Bewohner:innen haben behelfsmässige Häuser auf Gräbern und Särgen gebaut oder bewohnen leerstehende Grabkammern. Hier essen sie zu Abend, sehen fern, hängen Kleider zum Trocknen auf, kümmern sich um ihre Kinder und schlafen – nur Zentimeter von den Toten entfernt.
Viele Bewohner:innen errichteten ihre Häuser in den 1990er Jahren. Seitdem ist ihre Zahl stetig gestiegen. Einige Menschen zogen auf den Friedhof, nachdem ihre Häuser am Flussufer durch Sandbaggerungen eingestürzt waren, während andere von einem nahe gelegenen Grundstück vertrieben wurden, um Platz für einen neuen Markt zu schaffen. Heute leben rund 700 Menschen auf dem Friedhof, der etwa 200 Gräber zählt und sporadisch von Angehörigen der Verstorbenen besucht wird.

Boeung Trabek, Phnom Penh, Kambodscha

Die Boeung-Trabek-Gemeinschaft lebt entlang des unter gleichem Namen bekannten Abwasserkanals in Sangkat Phsa Deum Thkov in Phnom Penh. Der Kanal transportiert Regenwasser und menschliche Abfälle zu den überfluteten Feldern und Feuchtgebieten im Süden der Stadt. Das Viertel der Boeung-Trabek liegt flussabwärts, wo der gemauerte Kanal einem fast natürlichen Ufer weicht. Hier, wo das flache Wasser mit dem verrottenden Material einen giftigen Sumpf bildet, erhebt sich seitlich über dem fauligen Schlamm eine Ansammlung von Stelzenhäusern. In diesen und weiteren Baracken nahe dem Kanalufer leben geschätzt 400 Menschen. Sie sind nicht nur dem Ansteigen und Fallen des Hochwassers ausgesetzt, das die Häuser beschädigt und die Erkrankungsrate erhöht, sondern auch den Widrigkeiten, mit denen die ausufernden Neubauzonen ihre rudimentäre Lebensweise bedrohen. Für die zunehmenden Überschwemmungen um das Gebiet macht die Regierung das Wachsen der Gemeinschaft verantwortlich, wobei die staatlichen Behörden mit der Aufschüttung des Boeung-Trabek-Sees selber massiv ins Ökosystem eingegriffen haben, um die kommerzielle Entwicklung voranzutreiben.
Die Gemeinschaft ist immer wieder von der Räumung bedroht, denn die Siedlung gilt bis heute als illegal, obwohl sie sich bereits 1999 zum ersten Mal organisierte, um formale Landtitel zu erhalten.

Cham Gemeinschaft, Phnom Penh, Kambodscha

An den Ufern der Halbinsel Chroy Changva im östlichen Teil von Phnom Penh, wo die Flüsse Tonle Sap und Mekong zusammenfliessen, lebt unter äusserst prekären Umständen eine Gemeinschaft von schätzungsweise 300 Familien in Fischerbooten. Viele der Bootsbewohner:innen gehören zu den Cham, einer überwiegend muslimischen Minderheit mit einer eigenen Geschichte und Sprache, die sich von Khmer unterscheidet. Die Familien, die ihren Lebensunterhalt mit dem Fischfang verdienen, leben bereits seit Generationen auf dem Fluss, seitdem sie in der Zeit des Genozids der Khmer Rouge alles verloren haben.
Immer wieder in ihrer Geschichte wurde die Gemeinschaft von der Stadtverwaltung zum Umsiedeln gezwungen. Seit 2012 liegen die Boote im Schatten des 100 Millionen Dollar teuren Sokha Hotels. Der Verkauf ihrer Fische ist hier schwierig geworden, weil der Marktplatz nun weit entfernt liegt. Zu alledem übt die Sokimex-Gruppe, die Besitzerin des Sokha-Hotels, Druck aus, um die Gemeinschaft von dem schmalen Streifen Land zu vertreiben, an dem sie ihre Boote verankert.

Living on Water / Tonle Sap-See, Siem Reap, Kambodscha

Der Tonle Sap-See in der Nähe von Siem Reap ist der größte Süsswassersee in Südostasien. Er ist einer der reichsten Binnenfischgründe der Welt und die Heimat von über einer Million Menschen.
Die Existenz der vom See lebenden Bevölkerung ist heute akut bedroht. Staudämme in Südchina, Überfischung, Klimawandel, illegaler Holzeinschlag, jegliche Art von Ressourcenausbeutung und Verschmutzung beeinträchtigen die Stabilität des sozio-ökologischen Systems des Tonle Sap.
Noch bis vor wenigen Jahren lebten viele Tausend Menschen auf dem Wasser in selbstgebauten Booten und Flössen, die schwimmende Dörfer auf dem ganzen See bildeten. Die kambodschanischen, vietnamesischen und einige chinesische Familien lebten vor allem vom Fischfang. Doch seit 2019 sind immer mehr dieser verzweifelten Menschen gezwungen, in ihre Heimatländer zurückzukehren.
Anfang 2022 warteten noch etwa hundert verbliebene kambodschanische Familien in ihren Hausbooten, die nun am Ufer vertäut bleiben müssen, auf ihre endgültige Vertreibung.

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